Das falsche Narrativ vom Dienst für die Gesellschaft

Die #Wehrpflicht. Seit 2011 ausgesetzt, aber die Debatte darum wird immer wieder erneut angestoßen; meist von Konservativen, wenn auch nicht immer. Und Wehrpflicht sagt man eigentlich auch nicht mehr, “allgemeine Dienstpflicht” heißt das jetzt. Na ja, ok. Klingt vielleicht ein bisschen nach Neusprech, aber wenigstens werden Zivildienst und Co da nicht zu “Ersatzdiensten” abgewertet, oder?

Allen Vorstößen gemein ist das Mantra, junge Leute sollten halt einfach mal ein Jahr Dienst für die Gesellschaft verrichten. Und an diesem Punkt rollen sich mir immer die Fußnägel auf, weil es ja irgendwie impliziert, dass alle, die keinen #Zwangsdienst verrichtet, nichts für die Gesellschaft tun würden. Und das ist auf so vielen Ebenen einfach falsch.

Es gibt in Deutschland immer noch ein sehr breites zivilgesellschaftliches Engagement. Menschen engagieren sich in Sportvereinen, bei den Tafeln, bei Organisationen die Flüchtlinge unterstützen; die Liste lässt sich noch lange erweitern. Die meisten Leute machen solche Tätigkeiten ehrenamtlich, also ohne Bezahlung. Wenn das mal kein Dienst für die Gesellschaft ist.

Aber auch bezahlte Tätigkeit steht nicht im luftleeren Raum. Der Erzieher im Kindergarten. Die Müllwerkerin, die die Tonnen leert. Der Klempner, der dafür sorgt, dass überall die Toiletten funktionieren. Die Medizinstudentin, die Semester schwerer Arbeit auf sich nimmt, um einmal als Ärztin zu praktizieren. Der Landwirt, der Nahrung produziert. Und nicht zuletzt Eltern, die (unbezahlt) Kinder zu großziehen. Leisten all diese Menschen keinen Dienst für die Gesellschaft?

Es ist die Natur unserer Gesellschaft, dass die meisten irgendwas zum Wirtschaftsleben – und damit zur Gesellschaft selbst – beitragen1. Klar, je nach politischer Couleur empfindet man vielleicht den Philosophen, die Managerin, den Pfarrer oder wen auch immer als “wirtschaftlichen Drückeberger”. Aber in einer pluralistischen Gesellschaft müssen wir wohl akzeptieren, dass es immer noch genug Leute gibt, die da einen Nutzen ziehen.

Was da eben gerne als “Dienst für die Gesellschaft” verkauft wird, bedeutet unterm Strich “Dienst, den die Leute an der Macht für gut befinden”. Es wird sich eben nicht jeder einfach aussuchen können, was er für den besten Dienst an der Gesellschaft hält. Viele Leute empfinden das, was die Letzte Generation macht, als einen sehr großen Dienst für die Gesellschaft. Mann kann sicher geteilter Meinung über die Klimaaktivisten sein, aber man kann ihnen sicher nicht vorwerfen, dass sie sich selbst bereichern, wenn sie Wut und Hass aushalten und sogar Gefängnis riskieren. Und trotzdem sehe ich da jetzt noch nicht, dass jemand sein Dienstjahr damit verbringen darf, sich auf die Straße zu kleben.

Der “Dienst für die Gesellschaft” sollte also vielleicht eher etwas mit breiterem Konsens sein, sowas wie Pflege oder Katastrophenschutz, oder? Aber was machen wir dann mit dem Militärdienst? Der ist jetzt auch nicht wirklich unkontrovers. Daher wäre das auch meine erste Gretchenfrage an die ganzen Zwangsdienstbefürworter: Wärt ihr immer noch dafür, wenn Militärdienst genauso ausgeschlossen wäre, wie sich fürs Klima auf die Straße zu kleben?

Am Ende ist die simple Wahrheit, dass das Konzept vom “Dienst für die Gesellschaft” unbeliebte Tätigkeiten überhöhen soll, weil man Menschen dazu zwingen will, diese zu verrichten. Denn neue Vokabeln zum Trotz, am Ende geht es ums Militär. Da laufen wir eben in das Dilemma, dass wir einerseits ein Militär brauchen – gerade weil wir dadurch, dass Russland dem Faschismus anheimgefallen ist, einen bedeutenden Rückschritt beim Frieden in Europa gemacht haben – aber es eben auch verständlich ist, dass viele die Idee bei Militär zu arbeiten jetzt nicht so geil finden. Warum also nicht einen Zwangsdienst, bei dem jeder mal ran muss?

Wer die Antwort auf diese Frage sucht, muss nur zurückschauen, warum die Wehrpflicht überhaupt ausgesetzt wurde. Es musste eben nicht “jeder mal ran”. Nur ein Bruchteil der männlichen Hälfte eines Jahrgangs wurde überhaupt eingezogen. Wahrscheinlich haben die Zwangsdienstbefürworter viele gute Ideen, wie man es diesmal besser machen kann. Dennoch fehlt mir der Glaube daran, nicht zuletzt wegen der verfassungsrechtlichen Fallstricke bei der Geschlechtergerechtigkeit beim Zwangsdienst.

Ich sehe also den einzigen Weg weiter in der Freiwilligkeit. Hier werden mir jetzt viele Zwangsdienstbefürworter entgegenwerfen: “Wir haben seit über zehn Jahren Freiwilligkeit und immer noch zu wenig Personal.” Aber das möchte ich nicht gelten lassen. Die entscheidenden Anreize für die Freiwilligkeit wurden meines Erachtens noch nie ernsthaft diskutiert2. Das ist alles wieder so ein Fall von “Wir haben nichts versucht und es hat nicht funktioniert”.

Wie man sieht, habe ich also überhaupt kein Problem damit, dass die Debatte Zwangsdienst vs. Freiwilligkeit geführt wird. Aber dann sollte man eben auch so ehrlich sein und benennen worum es geht, statt sich hinter Phrasen wie “Dienst für die Gesellschaft” zu verstecken.


1

Ja. Manche können es nicht, z.B. aus gesundheitlichen Gründen, die nimmt man in einer demokratischen Gesellschaft halt mit. Andere verweigern sich der Gesellschaft auch ganz, das ist dann auch diskussionswürdig. Aber am Ende sind das doch Randerscheinungen und für diese Diskussion nicht so relevant.

2

Ich könnte da einen ganzen Blogpost nur damit füllen. Vielleicht tu ich das auch noch.