Der Beginn meiner Arbeit inmitten einer Pandemie

Als ich mich für die Hospizbetreuung entschied, tat ich das, weil es mir ein Anliegen war meinen Mitmenschen etwas zurückzugeben. Für jemanden da sein können wenn er es am dringensten braucht und er evtl. auch niemanden hat, der da sein kann oder will...das wollte ich machen.

Gestern habe ich mich dann an meine ersten Patienten gewagt. Ich war nicht wirklich nervös, aber neugierig. Meine Ausbildung ist wegen Corona ausgesetzt und längst nicht beendet. So werf ich mich jetzt selbst ins kalte Wasser. Learning by Doing...ist eh besser.

Mit einer erfahrenen Kollegin traf ich mich am Heim. Die Abteilung ist die einzige, auf der die Menschen noch rumlaufen dürfen. Alle anderen sind seit März auf ihren Zimmern isoliert. SEIT MÄRZ! NUR IM ZIMMER!

Die Demenzstation betritt man nur noch im Ganzkörperanzug. Mein erster Gedanke war, dass ich mir dann die Tränen gar nich wegwischen kann...total bescheuert, aber wir machen einen emotionalen Job. Ich hatte extra wenig getrunken, also war die Toilettengeschichte, die meine Kollegin beschäftigte mein geringeres Problem. Wir zogen uns also um und es ging in die Abteilung. Immer schwirrten Demenzpatienten um uns herum, die schauten was wir so machten. Ich setzte mich zu meinem Patienten, der am Sauerstoffgerät angeschlossen war und auf Zuspruch und Berührung anfangs gar nicht reagierte. Erst als ich Mundhygiene versuchte wurde er ziemlich lebendig, sodass die Pflegerinnen nach uns sahen. Seine Lippen und sein ganzer Mund-und Rachenbereich waren wund, dadurch, dass er nur durch den Mund atmen konnte. Die Flüssigkeit muss ätzend für ihn gewesen sein. Das hab ich nur leider nicht sofort gesehen... Er war dann auf jeden Fall wach und ich hab seine Hand und Arme massiert. Hab mit ihm gesprochen. Seine Schultern und seinen Kopf gestreichelt. Hab seine Hand gehalten. Bis die Pflegerinnen kamen und er Medizin nehmen musste....flüssig...reden wir nicht drüber.

Danach gönnte ich ihm etwas Ruhe und half den Pflegerinnen beim Essen reichen. Die Dame, der ich half wollte mich wohl beeindrucken und aß die 4-fache Menge der Portion, die sie sonst essen würde. Wurde zur Heldin erklärt. Hab es mir leider nicht schriftlich geben lassen. Aber hauptsache die alte und sehr dünne Frau hat was gegessen. Hatte irgendwann Angst ihr wird schlecht...

Zurück beim sterbenden Patienten, der noch immer etwas verärgert im Bett hin-und herrutschte, lief eine der Damen immer wieder ins Zimmer, ums Bett herum, zupfte die Bettdecke und das Kissen zurecht. Ich sprach sie an, fragte wie's ihr geht. Ich merkte, dass sie weiß was mit ihrem Freund geschieht. Dass ihre Freunde sterben werden. Und er ist nicht der einzige, es gibt weitere in der Abteilung. Sie zuckte mit den Schultern, machte ein trauriges Gesicht. Ich fragte, ob sie eine Umarmung braucht und drückte sie fest. Sie bedankte sich und sagte "gut". Und dann ging sie.

Ich hoffe einfach, dass ich da war hat geholfen. Im Grunde würde ich gern immernoch am Bett sitzen. Ihn allein zu lassen war nicht leicht.

Man fragt sich auch immer wie es ist wenn die Großeltern im Sterben liegen oder die Eltern. Vor allem auf einer Covidstation. Kommt man als Kind/Enkel dann vorbei? Bleibt man Zuhause? Macht es überhaupt Sinn sich diesem Risiko auszusetzen? Vor allem wenn man Familie hat, sollte man an diese denken.

Hier kann ich wenigstens für mehrere Menschen da sein, auch wenn ich sie nicht kenne. Aber ich bin da, wo ihre Angehörigen unter diesen Rahmenbedingungen jetzt einfach nicht da sein können. Und das ist in Ordnung.

So schlimm wie es klingen mag, aber ich freue mich darauf morgen wieder hinzufahren und am Bett zu sitzen. Es ist schön zu merken, dass der andere sich wohl fühlt und deine Gegenwart genießt.

Aber ich bleib ganz weit von seinem Mund weg... Und dann hoffe ich, dass er die Kraft findet loszulassen.

Covid